Im Unterricht haben wir eigenständig das Thema Sprachgeschichte bearbeitet. Während der Bearbeitung habe ich mich gefragt, auf welchem Prinzip die Sprachentwicklung basiert, in welcher Form sich die Sprache über die Zeit verändert hat und ob ich das in meinem Alltag sogar sehen kann. Dabei gibt es zwei zentrale Modelle, die Wellentheorie und die Stammbaumtheorie. In diesem Text wird der Fokus auf der Wellentheorie liegen, da ich diese noch an einem Beispiel aus der Alltagssprache interpretiere.
Der Sprachwandel wird seit einigen Jahrhunderten untersucht. Dabei fragen sich Forscher und Forscherinnen, wie sich die indoeuropäische Sprache so weit ausbreiten konnte, dass heute etwa 3 Milliarden Menschen eine indoeuropäische Sprache sprechen. Diese Frage kann bis heute nicht endgültig beantwortet werden. Es gibt jedoch mehrere verschiedene Modelle, die die Entwicklung oder Weiterentwicklung einer neuen Sprache veranschaulichen. Anhand dieser Modelle kann der Sprachverlauf teils rekonstruiert werden.
Die Wellentheorie ist ein bedeutendes Modell, welches 1872 erstmals von Johannes Schmidt vorgestellt wurde. Die Wellentheorie beschreibt, wie sprachliche Neuerungen sich wellenförmig über Sprachgebiete hinweg ausbreiten und dabei geografisch benachbarte Sprachen beeinflussen. Falls eine Sprache eine sprachliche Neuerung erfährt, wird diese dann von einem Entstehungspunkt der Sprache aus in Form von Wellen ausgesandt. Je nachdem, wie stark diese Neuerung in der Sprache verankert ist, werden diese Wellen weiter ausgesandt. Die Wellen breiten sich immer mehr aus und werden mit der Zeit immer schwächer und flachen schliesslich ab. So wie bei einem Stein, den man ins Wasser wirft. Dadurch, dass alle Sprachen Neuerungen erfahren, entsteht eine Vielzahl von Wellen. Falls sich diese Wellen dann überschneiden, kann es dazu kommen, dass die Neuerungen in eine andere Sprache übernommen werden. Dadurch verändert sich die überschnittene Sprache über die Zeit.
Diese Theorie ist aber nicht ganz wahrheitsgetreu, da sie den Einfluss von einer Sprache auf eine andere Sprache zeigt, jedoch nicht erklärt, wie dieser Einfluss aussieht oder was genau übernommen wird. Fragen wie «Welche Wörter oder Strukturen werden übernommen?» oder «Wie stark wird eine Sprache durch eine andere beeinflusst?» bleiben offen. Ausserdem wird der Einfluss von ehemals getrennten Sprachen, welche lange Zeit keinen Kontakt zueinander hatten, da sie geografisch beispielsweise weit voneinander weg lagen, nicht aufgezeigt. Dabei übernimmt eine Sprache, welche eigentlich sehr lange von einer anderen Sprache getrennt war, plötzlich bestimmte Wörter oder sogar die ganze Grammatik der anderen Sprache. Somit verändert sich die Sprache so stark, dass man sie eventuell fast nicht mehr wiedererkennt. Mit der Wellentheorie kann dann nur noch aufgezeigt werden, dass sich diese zwei Sprachen überschnitten haben, aber nicht, was genau ausgetauscht wurde.
Das zweite Modell ist die Stammbaum-Theorie. Die Stammbaum-Theorie geht davon aus, dass alle indoeuropäischen Sprachen, wie in einem Stammbaum, von einer Ursprungssprache ausgehen und somit den gleichen Ursprung haben. Während sich die Stammbaum-Theorie auf die räumliche Abspaltung verschiedener Sprachen fokussiert, fokussiert sich die Wellentheorie auf den Austausch und die Beeinflussung der verschiedenen Sprachen untereinander.
Wie oben erwähnt, kann eine Sprache von vielen anderen Sprachen verändert werden. Dies kann ich selbst auch an meiner eigenen Sprachentwicklung erkennen. Ich übernehme plötzlich Wörter von anderen Personen, weil sie in einem Gespräch ein Wort öfters verwendet haben. Dieses Phänomen lässt sich mit einer erweiterten Interpretation der Wellentheorie beschreiben.
In dieser erweiterten Interpretation der Wellentheorie sind Menschen wie eigenständige Sprachen, die in einem ständigen Austausch zueinander stehen. Wenn eine Person ein Wort häufig benutzt, kann man sich das so vorstellen, als würde sie es in Form von Wellen aussenden. Je häufiger das Wort verwendet wird, desto stärker und weiter reichen diese Wellen. Falls sich diese Wellen überschneiden, kann es dazu führen, dass neue Wörter übernommen werden.
Dieses Phänomen habe ich schon mehrmals selber wahrgenommen. Als ich ein neues Wort oft gebraucht habe, haben plötzlich manche Kollegen und Kolleginnen dieses Wort auch übernommen. Dadurch veränderte sich unsere Sprache. Die Sprache, die ich mit 14 gesprochen habe, und die, die ich jetzt spreche, hat sich enorm verändert, obwohl nicht viel Zeit dazwischen liegt. Dass sich meine Sprache so verändert hat, liegt unter anderem daran, dass sich das Umfeld gewandelt hat und dass ich immer mehr Fremdwörter in meinen Wortschatz aufgenommen habe.
Das Wechselspiel zwischen der persönlichen Sprachentwicklung und der kollektiven Sprache lässt sich besonders gut in der Jugendsprache beobachten. Wir als Jugendliche übernehmen sehr schnell neue Wörter und sind auch in der Wörtersuche sehr kreativ. Durch die Übernahme neuer Wörter etablieren sich neue Wörter sehr schnell. Nach kurzer Zeit hat dann eine grosse Gruppe von Jugendlichen das einst neue Wort übernommen.
Auch in meiner Freundesgruppe haben sich plötzlich Wörter etabliert, die wir zuvor noch nicht einmal gehört hatten. Ein Beispiel hierfür ist das Wort ‘daym’ oder auch 'damn', das ursprünglich aus der englischen Sprache stammt und so viel wie ‘Krass!’ oder 'Heftig!' heisst. Ein anderes Beispiel ist ebenfalls aus der englischen Sprache, und zwar das Wort ‘ seriously? ’, was so viel heisst wie ‘wirklich? ’ oder ‘ernsthaft? ’. Diese beiden Wörter sind bereits fest in unserem Sprachgebrauch verankert, finden sich aber auch bei Freunden aus Zürich und anderen Städten wieder und unterstützen damit die Wellentheorie.
Diese Beispiele zeigen, dass Sprache stark durch soziale Interaktion geprägt wird. Während die klassische Wellentheorie die geografische Verbreitung sprachlicher Veränderungen beschreibt, kann man sie auch metaphorisch verstehen: Sprache breitet sich innerhalb sozialer Gruppen in Wellen aus, die sich überschneiden und weitergetragen werden.
Quellen:
Unterrichtsmaterialien zu 'Zur Geschichte der deutschen Sprache' von Markus Beutler, Gymnasium Kirchenfeld
Titelbild von Stella Pfuhl erstellt